»Ein schweres psychisches Trauma ist ein seelisches Erdbeben. Kein Seelenstein bleibt auf dem anderen.
Es braucht viel Zeit, Ruhe und Empathie, um das Seelenhaus wieder aufbauen zu können.
Kommen irreparable körperliche Verletzungen hinzu, gar die Verweigerung medizinischer und menschlicher Hilfe, kann jeder Mensch gebrochen werden.«
Katrin Dohnt, im Oktober 2020
Ich heisse Katrin, bin Mitte fünfzig mit Tendenz zur Sechzig und empfinde mich heute als Überlebende. Im Januar 2006 hat mich ein grauenvoller Unfall in der Telekom AG beinah mein Leben gekostet.
Im Laufe eines Lebens widerfahren jedem Menschen verschiedene Traumata. Der Verlust eines geliebten Menschen, eine schwere Erkrankung, Flucht aus dem Heimatland, der Verlust der gesundheitlichen Unversehrtheit - das alles kann zu Traumatisierungen führen.
Im Laufe meines Lebens habe ich einige der genannten Geschehnisse erlebt.
Zunächst mit Anfang Zwanzig der krankheitsbedingte Tod meiner Ma. Nach einigen Jahren "Pflege" zu Hause wurde bei ihr die Diagnose eines irreparablen Hirntumors gestellt. Nach weiteren knapp drei Jahren in verschiedenen Kliniken - zuletzt in der Uniklinik Leipzig, ist sie im Alter von 47 Jahren verstorben.
Lange Zeit hatte ich grosse Angst davor, dieses Alter nicht zu erreichen oder nicht viel älter zu werden.
Mein heutiges Leben ist eine große Anstrengung. Noch immer verbringe ich die meisten Tage eines Jahres schmerzbedingt im Bett, teils bewegungsunfähig. Nur an wenigen Tagen ist es möglich, die Wohnung zu verlassen und mich ein paar Meter unter Aufbringung aller Kraft vorwärts zu bewegen.
Mehr als zwölf Jahre hat es gebraucht, mein psychisches Gleichgewicht wieder einiger-massen in den Griff zu bekommen. Von meinem früheren Wesen ist nichts geblieben. Humorlosigkeit ist heute meine große Stärke. Vor dem Unfall war dies eine meiner Stärken.
Mich über diesen Seiten mitzuteilen ist eine Entscheidung, mir selbst und anderen Menschen in (seelischer) Not Mut und Hoffnung zu machen. Ein (oder mehrere) Traumatisierungen können ein gesamtes Lebenskonzept über den Haufen werfen, sämtliche Werte in Frage stellen. Alles verliert an Bedeutung. Es gibt nur noch schwer und schwarz. Das Leben hat Farben und Leichtigkeit verloren. Es bleiben Trauer und Einsamkeit.
Nach einem grauenvollen Unfall am 19. Januar 2006 in der Telekom AG in Darmstadt wurde ich mit den Unfallfolgen völlig allein gelassen. Medizinische und sonstige Unterstützung wurden und werden ebenso verweigert wie Empathie und Menschlichkeit.
Schwerstes Trauma war das Verhalten Vorgesetzter und Verantwortlicher nach dem überlebten Unfall in der Telekom AG Darmstadt. Der Einsturz einer tonnenschweren Wand hat mich beinah mein Leben gekostet. Das Wissen, dass jeden Tag schwere (Arbeit)Unfälle, auch mit tödlichem Ausgang geschehen, hat diese Erfahrung auf gedanklicher Ebene nachvollziehbar und abschliessbar machen lassen.
Meine körperliche Gesundheit ist durch den Unfall auf der Strecke geblieben. Schwere Rückenmark-Verletzungen auf allen Höhen der Wirbelsäule - Hals-, Brust-, Lendenwirbelsäule - jeder Bereich hat schwere oder weniger schwere Schläge von der tonnenschweren Wand abbekommen.
Mein Kopf war erste Aufprallfläche für die Wand. Das Sprichwort von dem dicken Schädel muss auf meinen zutreffen, Anders ist es kaum zu erklären, dass ich trotzt schwerer Kopfverletzungen den Unfall selbst und später dessen Folgen sowie die Nichtversorgung der Verletzungen überlebt habe. Hirnblutungen und ein Schädel-Hirn-Trauma waren die Verletzungen im Kopfbereich.
Lediglich die Verletzungen der Halswirbelsäule mit einer schweren Komprimierung des Rückenmarkes in diesem Bereich wurden operiert (April 2006). Bezahlt wurde diese Operation von der AOK und nicht wie nach einem Arbeitsunfall gesetzlich geregelt von der Berufsgenossenschaft. Da die Telekom AG "vergessen" hatte, den Unfall zu melden, wurde die BG freigesprochen von jeglicher Verantwortung.
Alle anderen schweren körperlichen Verletzungen wurden medizinisch NICHT versorgt oder behandelt. Dies hat letztendlich dazu geführt, dass ich heute ein Pflegefall mit Pflegestufe drei mit eingeschränkter Alltagskompetenz und phasenweise für jeden Handgriff auf Hilfe angewiesen bin.
Dass ich heut noch leben, ist dem seit fast 16 Jahren andauernden Versuch geschuldet, die Unfallfolgen zu überwinden und irgendwie weiterzuleben. In den vielen Phasen tiefster Trauer und Hoffnungslosigkeit gab es auch immer diesen kleinen Funken Lebenswillen, der mich dann doch immer wieder hat weitermachen lassen.
Die Telekom AG hat den schweren Unfall kommentiert mit "... es ist nichts weiter passiert...". Sie hat den Unfall verleugnet und negiert. Erst 2010, nach vier Jahren permanenten Druck meinerseits wurde das Geschehene von Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt. Noch immer sprach die Telekom AG davon, dass "... nur ein Brett umgestürzt sei...". Dieses "Brett" war mehr als acht Meter lang, über drei Meter hoch und hatte ein Gewicht von mehr als einer Tonne.
Das kriminelle Agieren der Telekom AG sowie die Erfahrung, trotzt grösster Not von Ärzten nicht behandelt zu werden, haben mich psychisch an und über Grenzen gebracht und zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) geführt. Die heftigste Erfahrung diesbezüglich war der regelrechte Rausschmiss aus einem Sprechzimmer von Dr. Görich (Chirurg und Unfallarzt mit Berechtigung, Arbeitsunfälle zu behandeln) im Alice-Hospital Darmstadt. Nach diverser Vorerfahrung mit Behandlungs-Verweigerungen durch Ärzte hatte ich Dr. Görich auf Empfehlung aufgesucht. In einem Zustand totaler Verzweiflung bedingt durch unvorstellbare Schmerzen und starker Bewegungseinschränkung saß ich in einem Behandlungszimmer. Nach einem kurzen Überblick über meine Situation hat Dr. Görich die zuständige Sachbearbeiterin (Katrin Skoutajan) der VBG Mainz (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) angerufen.
In meinem Beisein wurde über mich gesprochen, als sei ich einer der Schränke im Raum. Bereits während des Telfonates wusste ich, was die VBG verlangte –
dass ich erneut nicht behandelt werde. Doch da war noch ein klein wenig Hoffnung auf Menschlichkeit und Mitgefühl. Trotzt oder vielleicht gerade wegen der unzähligen Behandlungsverweigerungen
wollte ich glauben dass der Arzt, von dem ich bisher soviel Gutes gehört habe, seinen Berufseid über das unmenschliche Agieren der VBG stellen würde und mich behandelt. Oder es zumindest
versuchen würde.
Allein die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch Dr. Görich wie sieben andere "Ärzte" (u. a. Dr. Stroh, Chirurg und Unfallarzt in Darmstadt) hat jegliche Hilfe abgelehnt. Auch meine Bitte, ein Schmerzmittel gegen die unerträglichen Beinschmerzen mitzugeben, wurde abgelehnt.
Mit den liebevollen Aufforderung, Behandlungsraum und Klinik sofort zu verlassen schob Dr. Görich mich nach einem kurzen verbalen Disput aus dem Raum. Seine Begründung für dieses empathische Agieren: Der laufende Rechtsstreit (zwischen meiner Person, der VBG und der Krankenkasse (AOK Hessen) mache eine Behandlung unmöglich da die Finanzierung nicht gewährleistet sei. Zumindest war der Rechtsstreit noch laufend. Für mich selbst war Laufen kaum möglich. An Stöcken habe ich mich vorwärtsgezogen und bei jeder Bewegung fürchterliche Schmerzexplosionen in Kopf und Körper erlebt.
Mein gesamter Körper stand regelrecht unter Strom. Jedes Körperteil hatte andere Schmerzen. Mein linkes Bein war schwer wie ein Fels und lies sich kaum vom Boden
heben. In meinem Rücken tobten gefühlt mehrere Messer und schnitten permanent in rohes Fleisch. Bei jeder Bewegung explodierten heftige Stromstösse. in meinem Kopf Meine Arme und Beine
vollzogen unkontrollierte Bewegungen in nicht geplante Richtungen.
Nach der Begegnung mit Dr. Görich war ich wochenlang derart erschöpft, dass ich mit dem Gedanken getragen habe, aufzugeben. Nicht
mehr zu können und auch nicht mehr zu wollen. Mein Vertrauen in Menschen, insbesondere jedoch in die Spezie Arzt war zutiefst erschüttert. Eine Welt mit solchen Unmenschen hielt ich für nicht
mehr lebenswert.
Konsequenzen hatte das Verhalten von Dr Görich keine, ebenso wie alle anderen Ärzte und auch nicht die Telekom AG für ihr unmenschliches (Nicht)Agieren zur Rechenschaft gezogen wurden. Dies ist in diesem Land Usus.
Für mich hingegen hat das kriminelle Agieren der Telekom AG sowie das Verweigern medizinischer Behandlung dramatische Folgen. Jahre voller Schmerzen, Jahre der Bewegungs-Einschränkungen bis hin zur Bewegungsunfähigkeit und der grauenvolle Gedanke, mein linkes Bein schmerzbedingt amputieren zu lassen. Oder dem Ganzen ein Ende zu machen.
Gegen viele Widerstände habe ich für mein (Über)Leben gekämpft. Mehr als einhunderttausend (100.000) Euro habe ich aus eigener Tasche aufgebracht für Behandlungen, Medikamente, Hilfsmittel etc.. Geld, dass ich von der Versicherung des Wandherstellers als Schmerzensgeld erhalten habe und das meine Altersvorsorge sein sollte.
Da weder Unfallversicherung noch Krankenkasse bereit waren, die erlittenen Unfallverletzung medizinisch versorgen zu lassen, gab es für mich nur die Option zwischen Eigenfinanzierung und Überleben oder das Geld für mein Alter zurückzulegen. Leider hätte ich dann kein Alter mehr erreicht. Ich wäre an den nicht versorgten Verletzungen zeitnah gestorben oder hätte mein Leben schmerzbedingt selbst beendet.
Es gab viele Momente voller Zweifel und Verzweiflung. Heute, mehr als sechzehn Jahre nach dem Unfall ist mein Leben eine grosse Anstrengung, doch in den positiven Phasen sind all die Anstrengungen vergessen und ich finde mein Leben wieder lebenswert.
Meine Erfahrungen der vergangenen Jahre, mein Wissen um die Möglichkeiten sowohl der physischen wie auch der psychischen Selbstheilung möchte ich auch auf diesem Weg gern weitergeben.
Ich habe es geschafft, ein schweres Trauma zu überwinden, einen für mich guten Umgang mit Verantwortlichen zu finden. Und ich habe etwas geschafft, von dem selbst Ärzte, Therapeuten und in wenigen Momenten ich selbst nicht geglaubt haben, dass es jemals wieder möglich sein könnte: Ich habe wieder gehen und in meinem Rhythmus und "Tempo" leben zu lernen. Dieses Tempo lautet heute Entschleunigung. Ein wahrhaft befriedigender Lebensrhythmus.
Mein Lebenswunsch ist Antrieb und Motor auch in den schweren Momenten. Ich hoffe, meine Kraft wird noch reichen, meine Wünsche realisieren zu können. "Arbeiten" ist nur noch im Liegen möglich. Klingt komisch, ist es leider nicht. Ich bin froh, wenn ich auf der Tastatur tippen kann.
Meine Vorstellung von einem schönen Ort? Eine behindertengerechte Wohnung mit Ausblick und direktem Zugang in die Natur. Ob Wasser oder Wald ist zweitrangig. Dazu eine/n "normale/n" Vermieter*In. Dazu eine zuverlässige, mir wohlgesonnene Assistenz mit medizinischem Fachwissen - fertig ist meine Wunschtüte. Und natürlich keine Verschlechterung meines "Gesund"heitszustandes.
Knapp zwei Jahre hat es gebraucht, bis ich mich mit dem Gedanken angefreundet hatte, mit Mitte vierzig mit einem Rollator zu gehen. Zu groß war die Scham. Lange habe ich überlegt, mir stattdessen einen Kinderwagen anzuschaffen. Die gesellschaftliche Wahrnehmung wäre eine völlig andere.
Medizinische Gründe haben dann doch zum Kauf eines Rollators geführt. Die Reaktionen der Mitmenschen auf meinen Anblick zu ignorieren, das Wegschauen, das Wechseln der Strassenseite. Heute bin ich einfach nur froh und dankbar dafür, dass es derartige Hilfsmittel gibt.
Den großen Rollator (unten rechts im Bild, mit grauer Tasche) benötige ich nach einer Schmerzspitze für circa zwei bis drei Wochen. Manchmal auch etwas länger. Er ist sehr stabil und belastbar
und fängt meine Gleichgewichtsstörungen auf, die nach einer Schmerzphase meist für ein paar Wochen anhalten.
Der kleine Rollator (der kleine Schwarze) kommt zum Einsatz, wenn meine Gehfähigkeit wieder stabiler und mein Gleichgewicht wieder mit sich selbst im Gleichgewicht ist. Meist benötige ich auch
ihn für zwei bis vier Wochen. Insgesamt benötige ich die Rollatoren nach einer Schmerzphase für insgesamt vier bis acht Wochen.
Darauf folgt dann das Gehen mit Unterarm-Gehhilfen für weitere zwei bis drei Wochen. Danach kann ich dann wieder mit nur einem Gehstock gehen. Und dann kommt jedesmal der unbeschreibliche Moment, wenn ich ohne eines der genannten Hilfsmittel wieder gehen kann - nur mit dem Walk Aide, einem elektronischen Fußheber, den ich permanent am linken Bein trage.
Ausführliche Informationen rund um das Thema Walk Aide und Wieder gehen lernen mit Hemiparese und Fussheberschwäche finden sie auf der Homepage WIEDER GEHEN LERNEN.
Link zur Seite (wird in Kürze gesetzt)
In den vergangenen 15 Jahren habe ich Vieles erreicht. Manches davon habe ich selbst kaum für möglich gehalten. Dass ich eines Tages wieder würde gehen können und mit meinen Möglichkeiten ein sinnvolles Leben würde führen können. Auch wenn es immer wieder Phasen voller Trauer und Traurigkeit gibt mit Tagen an denen ich kaum aufstehen mag. Über allem ist immer das Wissen, dass das Leben schön sein kann und ich noch viel davon (er)leben mag.
Um wieder Fuß fassen zu können im Leben, in der Gesellschaft, um meine Ziele und Wünsche erreichen und realisieren zu können, benötige ich selbst auch Hilfe. Sie können mir helfen wenn sie:
Jede noch so kleine Hilfe hilft
Unter dem Mailkontakt weiterleben.mittrauma(at)email.de können Sie mich gern erreichen. Bitte verwenden Sie als Betreff: Persönliches Hilfsangebot.
Ich sage bereits jetzt Danke und freue mich, von Ihnen zu lesen. Eventuell kann eine Beantwortung etwas dauern, da ich aufgrund der Schmerzschübe nicht immer schreibfähig bin. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Versprochen.
Danke für Ihr Interesse. Bleiben oder werden sie gesund!